Risikopräferenzen und prosoziales Verhalten – Experimentelle Evidenz aus pandemischen Zeiten
Sind wir bereit, unsere Kontakte zu reduzieren, um das Infektionsrisiko mit Covid-19 zu vermindern? Das ist eine Frage, die uns in der Pandemie begleitete. Wir sind unentwegt mit Situationen konfrontiert, in denen wir das Risiko für unsere eigene Gesundheit abwägen müssen. Unsere Risikoentscheidungen betreffen dabei jedoch nicht nur die eigene Person, sondern können weitreichende Folgen für die Gesundheit anderer haben. Die Folgen der Risikoabwägungen haben demnach auch eine prosoziale Komponente. Beim Treffen mit anderen Menschen, beispielsweise, wird nicht nur riskiert, sich selbst anzustecken, sondern auch die Person zu sein, die andere ansteckt. Ein sich dadurch verstärkendes Infektionsgeschehen stellt zusätzlich eine Belastung des Gesundheitssystems dar.
Das Zusammenspiel zwischen Risikopräferenzen und prosozialem Verhalten haben Forschende des HCHE mit Hilfe eines Befragungsexperiments im Rahmen der European COvid Survey (ECOS) untersucht. Die Teilnehmenden der Studie wurden in einer abstrakten Entscheidungssituation gebeten, Kosten und Nutzen von risikobehafteten Entscheidungen abzuwägen. Konkret wurden sie gefragt, wie viele Personen sie treffen möchten, wenn jedes Treffen mit einem persönlichen Nutzen für sie verbunden ist. Je mehr Personen sie treffen würden, desto größer wäre der potenzielle Nutzen. Auf der anderen Seite stieg aber mit jeder getroffenen Person gleichzeitig auch das Risiko, sich zu infizieren und damit den Nutzen wieder zu verlieren. Bei dieser Risikoabwägung hatte die eigene Entscheidung zunächst nur Auswirkungen auf die eigene Person. In einer zweiten Entscheidung wurden die Teilnehmenden gebeten, eine erneute Risikoabwägung zu treffen. Dieses Mal war mit einem Treffen nicht nur das eigene Infektionsrisiko verbunden, sondern auch das Risiko, Kosten für das Gesundheitssystem und damit für die Gemeinschaft zu verursachen.
Mittelpunkt der Studie war es zu untersuchen, wie sich die Entscheidungen der Teilnehmenden ändern, wenn die Konsequenzen nicht nur sie selbst, sondern auch die Gemeinschaft betreffen. Unterscheiden sich die Risikoabwägungen, wenn sie Folgen für die Gemeinschaft haben können? Die Forschenden konnten beobachten, dass die Teilnehmenden die Konsequenzen einer Infektion sehr genau abgewogen haben. Sie waren nur bereit sehr wenige Menschen zu treffen und zeigten damit ein hohes Maß an Risikoaversion. Die Teilnehmenden verstärkten ihre Risikoaversion, wenn negative Auswirkungen auf die Gemeinschaft auf dem Spiel standen. Dieses Muster ist in allen befragten sieben europäischen Ländern zu finden. Die Studie gibt Aufschluss über Motive, die bei Risikoabwägungen in der Pandemie eine Rolle spielen. Dies kann insbesondere bei der Kommunikation von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hilfreich sein.
Bei der Befragung haben die Forschenden des HCHE berücksichtigt, dass sich Menschen in realen Entscheidungssituationen anders verhalten, als wenn ihre Entscheidungen lediglich hypothetische Konsequenzen hätten. Daher waren die Risikoabwägungen im Experiment nicht nur rein gedanklich, sondern hatten monetäre Konsequenzen. Nutzen und Kosten wurden in Geldeinheiten umgerechnet und der resultierende Betrag wurde den Teilnehmenden ausgezahlt. Die Kosten für die Gemeinschaft wurden im Experiment dadurch simuliert, dass eine Spende an die COVAX-Initiative von UNICEF in Höhe von 0,50€ je Teilnehmenden auf dem Spiel stand. Auf Grund ihrer Entscheidungen haben 2.845 Teilnehmende jeweils eine Spende ermöglicht. Insgesamt kam somit eine Spende in Höhe von 1.422,50€ an UNICEF zustande.